Obwohl die meisten Fans klassischer Ferrari behaupten, dass der 250 GTO der größte GT-Rennwagen aus Maranello ist, sind diejenigen, die etwas mehr über die ikonischen Autos der 250er-Serie wissen, anderer Meinung. Ja, der 250 GTO ist die Spitze der Rasse, aber der ebenso legendäre und sogar noch erfolgreichere 250 GT SWB ist das Herzstück der Produktpalette und der erste weithin erkennbare Supercar von Ferrari. Der 250 GT SWB, der sowohl für die Rennstrecke als auch für die Autostrada konzipiert wurde, vereint perfekt die Geschichte der Marke, das wunderschöne Design und das fantastische Dröhnen des gleichnamigen 3,0-Liter-V12-Motors von Colombo.
In den späten 50er Jahren war Ferrari eine anerkannte Supersportwagenmarke mit zwei unverwechselbaren Modellreihen. Zum einen gab es Rennwagen, die in Le Mans und der Formel 1 dominierten, und zum anderen straßentaugliche GT-Coupés und Cabriolets für wohlhabende Kunden. Es war kein Geheimnis, dass Enzo Ferrari in allen möglichen Rennserien mitfahren wollte, und als er erkannte, dass einige seiner Kunden einen Rennwagen mit Straßenzulassung wollten, war er mehr als begeistert, ihnen diesen zu liefern. Damals entwickelte sich der GT-Rennsport zu einer der aufregendsten Meisterschaften, an der Sportwagen von Marken wie Maserati, Jaguar und Aston Martin teilnahmen. Natürlich wollte Enzo mitmischen und gab seinen Ingenieuren den Auftrag, das Standardmodell 250 GT in ein Rennfahrzeug zu verwandeln. Diese Ingenieure waren Giotto Bizzarinni, Carlo Chitti und Mauro Forghieri, allesamt sehr junge, aber talentierte Männer, die später zu legendären Namen in der italienischen Sportwagenszene werden sollten.
Es war jedoch nicht einfach, ein Standardmodell des 250 GT in eine scharfe Rennmaschine zu verwandeln, die in der Lage war, die Konkurrenz auf der Rennstrecke zu schlagen. Bizzarinni und seine Kollegen erkannten, dass das serienmäßige Chassis für einen wendigen Rennwagen zu lang ist und dass eine leichte Karosserie benötigt wird, um das Gewicht zu reduzieren und die Leistung zu verbessern. So verkürzte man den Grundriss des 250 GT Coupés um 20 cm und reduzierte den Radstand von 2600 mm auf 2400 mm. Ein drastischer Schritt, der sich aber auszahlte, denn das neue Modell war nicht nur wendiger und kompakter, sondern auch leichter und stabiler. Die Verwendung von Aluminiumpaneelen war der nächste Schritt, der zwar den Preis in die Höhe trieb, aber das Gesamtgewicht des Wagens unter 960 kg hielt, was sich positiv auf die Leistung auswirkte. Auch eine steifere Karosseriestruktur stand auf der Liste der Änderungen.
Doch die radikale Operation war nur der Anfang. Die jungen Ferrari-Ingenieure wussten, dass Rennwagen eine optimierte Aufhängung brauchten, um wettbewerbsfähig zu sein und ein angemessenes Fahrverhalten zu haben. Die Modelle der Serie 250 hatten alle eine angetriebene Hinterachse mit Blattfedern, eine primitive, aber effektive Konstruktion. Enzo war nicht bereit, in ein unabhängiges Setup zu investieren, das zweifellos die Kurvenlage verbessern würde, also musste das Team das bestehende Layout ändern, um dem Auto ein besseres Handling zu verleihen. Der Enzo verzichtete zwar auf eine Radaufhängung, befürwortete aber die Idee der Vierrad-Scheibenbremsen, was dieses Modell zum ersten Ferrari mit dieser Funktion machte.
Die offizielle Präsentation des neuen Modells fand 1959 auf dem Pariser Autosalon vor einem sehr interessierten Publikum statt. Da er auf den Modellen der Serie 250 GT basierte, wurde der erste Teil des Namens beibehalten, aber der italienische Begriff “Passo Corto” (“kurzer Schritt”) wurde der Bezeichnung hinzugefügt. Viel berühmter wurde dieses Modell jedoch durch seinen Namen SWB, was soviel wie “kurzer Radstand” bedeutet. Obwohl er aufgrund der innovativen Technik und der Aluminiumkarosserie deutlich teurer war als die Standardmodelle, bestellten nicht wenige Kunden den 250 GT SWB sofort nach der Präsentation.
Aus dieser Perspektive kann man sagen, dass der Ferrari 250 GT SWB eine perfekte Mischung aus Rennsporttechnologie und dem straßentauglichen GT-Modell war. Auf der einen Seite hatte er einen brauchbaren Innenraum, eine Fahrdynamik, die es dem Besitzer erlaubte, ihn täglich zu nutzen, und eine ansprechende Leistung, gepaart mit einer hervorragenden Haftung und Bremsen. Auf der anderen Seite konnte der 250 GT SWB mit minimalen Modifikationen auf der Rennstrecke eingesetzt werden, was die meisten seiner Besitzer auch taten. Es war ein Auto, mit dem man auf die Rennstrecke fahren konnte, das mit speziellen Zündkerzen und Rennreifen ausgestattet war und mit dem man das Rennen gewinnen konnte. Eine solche doppelte Persönlichkeit war damals selten zu sehen, und genau das war es, was ihn noch lange nach dem Ende seiner Produktion so berühmt und begehrt machte. Interessanterweise wurde der bekannte 3,0-Liter-Colombo-V12 nicht so stark modifiziert, obwohl Konstruktion und Design die meisten Änderungen erfuhren. Je nach Kundenwunsch leistete das hochdrehende Aggregat zwischen 240 und 280 PS, was für damalige Verhältnisse recht viel war, vor allem für ein Auto, das weniger als eine Tonne wog.
Unmittelbar nach seinem Erscheinen begann der 250 GT SWB seine glänzende Rennkarriere. Dieses Modell wurde von fast allen prominenten Rennfahrern der damaligen Zeit (Stirling Moss, Graham Hill, Rob Walker, Phill Hill) sowie von zahlreichen Privatfahrern gefahren und dominierte die GT-Rennklasse der späten 50er und frühen 60er Jahre. Ferrari gewann 1961 die Konstrukteursmeisterschaft, drei aufeinanderfolgende Tour de France-Titel und unzählige Rennen auf der ganzen Welt. Seine fantastischen Leistungen und seine Dominanz ebneten den Weg für den 250 GTO, der Ende 1962 auf den Markt kam.
Obwohl der 250 GT SWB nur drei Jahre lang angeboten wurde, verkaufte er sich sehr gut, wenn man bedenkt, wie speziell und teuer er war. In diesem Zeitraum produzierte Ferrari genau 167 Fahrzeuge mit unterschiedlichen Spezifikationen. Etwa 100 Fahrzeuge waren die Standardausführung des “Lusso”, ein weniger hartes und straßentauglicheres Modell mit einem 240-PS-Motor. Die “Competizione”-Spezifikation wurde in einer Auflage von etwa 45 Exemplaren hergestellt, und es wurden auch etwa 20 voll rennsporttaugliche Fahrzeuge geliefert. Die Liste der Besitzer glich dem “Who is Who” der Automobilwelt der frühen 60er Jahre. Vom Erfolg des 250 GT SWB inspiriert, entwickelte Enzo die Formel weiter. Mit demselben Ingenieursteam wurde der 250 GTO entwickelt, der ultimative Straßenrennwagen mit einem Colombo-V12-Frontmotor.
Heute steht der 250 GT SWB an der Spitze der Nahrungskette der V12-GT-Modelle von Ferrari, nicht nur wegen seines exorbitanten Preises auf dem Markt, sondern vor allem wegen seiner Bedeutung für die Geschichte, die Philosophie und die Rennerfolge des Unternehmens.